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Rezension des «Zeitgenössischen Paterikon»; Autor: Hermanarich (gekürzt)

Über Paterika - «Väterbücher» - im Allgemeinen

Das, was man als «Väterbücher» zu bezeichnen pflegt, ist kein so simples Genre, wie es einem anfangs scheinen mag. Schon in den Frühzeiten des Christentums war klar, dass dieses Genre einen gewissen Anteil an Giftigkeit enthält. Die Geschichte mit dem Löwen, denke ich, kennen alle. Hier ein Zitat von A.F. Gafrilow, bei dem ich zuerst von dieser Geschichte erfuhr:

«Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich in meinem Eifer als Neophyt die antiken Paterika (Sprüche und Geschichten über das Leben der antiken Väter der Kirche) gelesen habe, und mit welchem Verdruss ich darin mitunter aus heutiger Sicht eher sakrilegische Witze fand, zum Beispiel die Geschichte mit dem Wüstenvater, der einem Löwen begegnete. Der Mönch, der in der Einöde das Heil seiner Seele suchte, betete zu Gott, dieser Löwe möge sogleich zu einem Christen werden. Und tatsächlich, das Tier ließ sich sogleich auf seine Hinterpfoten nieder, bezeichnete sich mithilfe der Vorderpfote mit dem Kreuzzeichen und begann ein Gebet: «Aller Augen hoffen auf Dich, o Herr». Dieser Spaß aus dem dritten oder vierten Jahrhundert unserer Zeit ist schlau angelegt. Für einen außenstehenden Betrachter ergibt das eine Geschichte über die Wirksamkeit des Gebets: Der Löwe benimmt sich ja tatsächlich plötzlich wie ein Christ – das heißt, nun wird alles gut enden. Für jemanden aber, der innerhalb dieser Kultur angesiedelt ist, wird sofort klar, dass der Löwe die ersten Worte des folgenden Gebets spricht: «Die Augen aller hoffen auf Dich, o Herr, und Du gibst ihnen Speise zur rechten Zeit. Du öffnest Deine Hand und erfüllst jedes Lebewesen mit Wohlgefallen, denn Du bist gütig und menschenliebend». Das ist ein Tischgebet vor der Mahlzeit. Der Löwe wird den Wüstenvater gleich fressen. Aber nicht mehr als Heide, sondern als wahrer Christ. Wozu brauchte es eine solche Doppeldeutigkeit? Ich schätze, es handelte sich dabei um eine Methode, die scheinbare Unvollkommenheit des Seins zu akzeptieren, ohne dessen Komplexität zu mißachten…»

Wovon handelt das Buch?

Dieses Buch ist ein Paterikon. Also eine Sammlung an erbaulichen Geschichten aus dem Leben heiliger Väter, Asketen, Narren in Christo. Nur ist es eben kein echtes Paterikon, sondern ein künstlerisches – die heiligen Väter darin sind ausgedacht (obwohl die Autorin erwähnt, dass die Dichtung hierbei mit der Wahrheit vermischt ist), aber die Situationen, in welche diese ausgedachten Figuren geraten, sind durchaus sehr real. Nur sehr gut verborgen unter einer Schicht aus feiner Ironie und Groteske.

Ein Paterikon als erbauliche Literatur kann und soll auch nicht komplett verständlich sein. Es muss immer etwas geben, das unausgesprochen bleibt, etwas komplexes, doppeldeutiges – sonst wäre es keine erbauliche Literatur, sondern einfach nur eine Ansammlung von Binsenweisheiten, die nicht dazu imstande sind, jemandem angesichts der Komplexität des Lebens etwas beizubringen. Und ich kann gut verstehen, wieso die Komplexität dieses Buches bei einer bestimmten Kategorie Menschen so viel an Befremden und bisweilen sogar Aggression hervorruft – sie verstehen einfach nicht, dass religiöse Literatur auch so sein kann.

Hier zur Illustration eine kurze Geschichte:...


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