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»Ohne Kranz« ist eine Erzählung von Alexandros Papadiamantis, dessen "Griechische Erzählungen" bei Edition Hagia Sophia erscheinen.
War nicht etwa auch sie in ihrem Haus und ihrem Hof die Hausherrin? War nicht etwa auch sie vor einer Zeit jung gewesen, gut erzogen? Lesen und Schreiben hatte sie in der Schule gelernt. Ihr Diplom hatte sie von der Arsákeios-Universität erhalten.
Sie ging allen ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen nach, führte ihre häuslichen Arbeiten besser als jede andere aus. Sie hatte eine große Sauberkeit in ihrem Haus und auf ihren Stufen, bereit reinzumachen und zu scheuern, ohne dass es ihr jemals lästig fiel und ohne jene Wunderlichkeit zu zeigen, welchen allen Frauen gemein ist, die die Sauberkeit bis zur Übertreibung lieben. Und wenn die große Osterwoche begann, verdoppelte sie so sehr das Reinemachen und Waschen, dass sie ihren Fußboden zum Strahlen brachte, und die Wand dazu schien neidisch auf den Fußboden zu sein. Gründonnerstag kam herbei und sie entzündete ihr Feuer, stellte ihren Kochtopf auf, und färbte die Ostereier knallrot. Danach bereitete sie ihre Teigschüssel vor, kniete, schlug dreimal das Kreuz über dem Mehl, und knetete deutlich und geschickt die Kringel und presste darauf kreuzförmig die roten Eier ein.
Wenn es Nacht wurde, wagte sie es nicht hinzugehen und sich unter die anderen Frauen zu mischen, um die Zwölf Evangelien zu hören. Sie wollte, dass es einen Weg geben würde, sich hinter dem Rücken irgendeiner Hochgewachsenen und Dicken zu verstecken oder sich in der letzten Reihe des ganzen Frauenschwarmes an die Wand geklebt zu verbergen. Sie fürchtete sich jedoch davor, dass sie sich etwa umdrehen und sie anblicken würden.
Am Karfreitag war sie den ganzen Tag über in Gedanken versunken, weinte innerlich, klagte über ihre Jugendzeit und die Herzallerliebsten, die sie verloren hatte. Im Wachen träumte sie, und nahm auch sie sich vor, am Abend, bevor die Gebetsabfolge begann, heimlich das Epitaph zu verehren, und sich davonzumachen, wie jene Blutflüssige, die ihre Heilung von Christus gestohlen hatte. Doch im letzten Moment, als es schon anfing dunkel zu werden, fehlte ihr der Mut, und sie konnte sich nicht entscheiden hinzugehen. Es überkam sie Herzrasen.
Spät in der Nacht, wenn die heilige Prozession mit Kreuzen, Fahnen und Kerzen, unter Psalmengesängen, Liedern und den abwechselnden Stimmen der Musik der Waisen Chatzikósta, und Lärm, und vielen Menschen im Halblicht aus der Kirche kam, dann rannte der Giambís, der Vorsteher, voraus, um zu seinem Haus zu gelangen, seine seidene, gestickte Mütze aufzusetzen und seine Bernsteinkette haltend auf den Balkon zu treten, mit der Jahr für Jahr vergeblichen Hoffnung, dass die Priester sich entscheiden würden Halt zu machen und unter seinem Balkon ein Bittgebet hervorzubringen. Dann hielt auch diese Arme, die Christina, die Lehrerin (wie man sie eine Zeitlang in der Nachbarschaft rief) am kleinen Fenster ihres Hauses, halbversteckt hinter dem Fensterladen, ihre kleine Hochkerze, mit einem Licht so groß wie ihre Handfläche. Sie warf reichlich duftenden Weihrauch in das irdene Räucherfass, womit sie von Weitem die Spezerei demjenigen darbrachte, der einst das Salböl und die Tränen der Sünderin angenommen...